Rabin als Ministerpräsident gedacht. Aber ich hatte gesagt, was ich sagen wollte.

Ein Jahr später hatte ich mein erstes ernsthaftes Gespräch mit Rabin, in der Washingtoner Botschaft. Er bestätigte meine Meinung über ihn, als er sagte: "Mir ist verdammt egal, wo die Grenzen verlaufen, Hauptsache sie bleiben offen. Nur offene Grenzen sind sichere Grenzen." Im Hebräischen heißt sicher batuah, offenpatuah. Einige Tage später schrieb ich ihm in einem Brief, nur wenn ein Palästinenserstaat Israels Nachbar sei, gäbe es eine Gewähr dafür, daß die Grenzen offen blieben, denn erstens würde der Palästinenserstaat aus zwei einzelnen Teilen bestehen, der West Bank und Gaza, getrennt durch israelisches Territorium, und zweitens würden die Palästinenser selbst darauf bestehen, weil die Einheit des Landes für sie ein geheiligtes Dogma sei.

Aber Rabin war auch bei jenem Treffen ganz entschieden gegen den bloßen Gedanken eines Palästinenserstaates. Für mich war das schwer begreiflich. Mir schien der logische Zusammenhang zwischen seinen allgemeinen Auffassungen und seiner Meinung in diesem bestimmten Punkt zu fehlen. Ich hatte das Gefühl, daß hier eine mentale Sperre das logische Denken bei ihm blockierte, und versuchte, sie zu beseitigen. Ich hatte großen Respekt vor seinem logischen Verstand und gab die Hoffnung erst nach vielen Mühen auf. Fünf Jahre nachdem ich ihn zum erstenmal dafür vorgeschlagen hatte, wurde Rabin durch ein einmaliges Zusammentreffen von Umständen tatsächlich Ministerpräsident. Nach dem Yom Kippur-Krieg mußten angesichts einer spontanen Welle öffentlicher Empörung Golda Meir und Mosche Dajan gehen. Als Regierungsmitglieder, die für die mangelnde Vorbereitung auf Yom Kippur verantwortlich waren, waren auch Eban und Allon angeschlagen. Das Volk wollte einen neuen Mann, einen Ritter in glänzender Rüstung, ohne Fehl und Tadel aus jüngster Vergangenheit. Ezer Weizmann, Rabins Feind, berühmt für seine bissige und ungezügelte Zunge, formulierte es so: "Im Augenblick braucht ein Ministerpräsident nur die eine Qualifikation, am Yom Kippur nicht in Israel gewesen zu sein."

So wurde Rabin, für ihn selbst völlig überraschend, an die Macht geschwemmt. Er wurde als Bannerträger der Sabra-Revolution gepriesen, als erster gebürtiger Israeli an der obersten Spitze der Staatsmacht. Es war der Beginn einer neuen Ära. Alles würde nun neu bedacht. Alles würde sich ändern.

Jedenfalls hofften wir das.

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