Von Kissinger zu Kreisky

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Näeh unserem Treffen in Rambouillet im Oktober 1976 begaben sich Sartawi und Jiryes nach Amerika. Unser Rat, die Reise zu verschieben, erwies sich als nur allzu begründet. Der Zeitpunkt hätte gar nicht schlechter gewählt werden können. Schon im günstigsten Moment grenzt ein Versuch der PLO, in den Vereinigten Staaten neue Freunde zu finden und Leute zu beeinflussen, an das Unmögliche. In Amerika gibt es sechs Millionen Juden, und ihr politischer und wirtschaftlicher Einfluß steht in keinem Verhältnis zu ihrer Zahl, besonders im Bereich der Massenmedien. Sie halten treulich zu Israel - was immer Israel tut und wer immer in Israel bestimmt. Es gibt nur wenige Amerikaner arabischer Abstammung, und von ihrem Einfluß ist kaum etwas zu spüren.

So ist es eben, wie jeder weiß, auch wenn es oft als antisemitische Propaganda ' ausgelegt wird, wenn einer es offen ausspricht. Doch sehr wenige Leute sind sich bewußt, wie weit die Verästelungen dieser Realitäten reichen. Auch Sartawi, der jahrelang als Student und aufstrebender Chirurg in Amerika gelebt hatte, war ganz naiv, als er diesmal nach Amerika kam.

Die Vereinigten Staaten wurden vom Wahlkampffieber geschüttelt. Die Gerry Ford-Administration schlotterte. "Jimmy Who?"-Carter klopfte an die Tore Washingtons. Der eigentliche Boß war im Augenblick Dr. Henry Kissinger.

Kissinger ist für mich immer ein Rätsel gewesen. Sein Buch über europäische Politik in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts hat mich tief beeindruckt. Eine seiner Hauptthesen war, daß Friedensabkommen wertlos sind, wenn ein wichtiger Beteiligter des Konflikts übergangen wird und in dem Abkommen eine Bedrohung seiner grundlegenden Interessen sieht. Wenn diese Regel je zutraf - und zutreffend ist sie gewiß -, dann auf die Palästinenser im Nahostkonflikt. Sie trifft auch auf die Sowjetunion zu. Als Kissinger jedoch zum politischen Genius der Nixon- und der Ford-Administration wurde, benahm er sich, als hätte er sein eigenes Buch nie gelesen - ein klassisches Beispiel dafür, daß Macht den Geist blind macht. Er wollte Frieden schaffen ohne die Palästinenser, er behandelte die Herrscher der arabischen Länder wie lauter Metternichs und Castlereaghs, er versuchte, die Sowjets ganz und gar aus dem Nahen Osten zu verdrängen. Ich hatte ihn stark im Verdacht, jeden echten Schritt zum Frieden zu hintertreiben und die Salamitaktik des scheibchenweisen Friedens zu bevorzugen, damit alle Welt weiter nach amerikanischer Unterstützung schrie und von amerikanischem Schutz abhängig blieb.

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