Sein höchstes Interesse - die Schaffung eines Palästinenserstaates in der West Bank und in Gaza - würde auf dem Altar der syrischen Interessen geopfert. Damaskus war unverkennbar daran gelegen, den Konflikt ins Endlose zu verlängern, denn er stützte seine Position in der arabischen Welt und seine Forderung nach gewaltigen arabischen Finanzhilfen. Damaskus hatte überhaupt kein Interesse daran, zuzusehen, wie in einem Teil des Tandes, das es immer noch als Groß-Syrien betrachtete, ein wirklich unabhängiger Palästinenserstaat geschaffen würde.

Deshalb kam Issam ein neuer Gedanke, der erst zögernd, dann aber schnell klarere und kühnere Umrisse gewann. Wenn die legitime Führung beseitigt würde, müßten die unabhängigen Kräfte im palästinensischen Volk, jene, die fremde Herrschaft ablehnten und eine Friedensregelung anstrebten, die zu nationaler Unabhängigkeit führte, die PFO in einem anderen Lande wieder aufbauen. Das würde die Spaltung in eine auf Damaskus gestützte, radikale und abweisende PLO und eine gemäßigte, realistische PLO an einem anderen Ort bedeuten.

Nach anfänglichem Zögern entschloß sich Sartawi mehr und mehr, für eine solche Entwicklung initiativ zu werden, wenn es nötig würde. Es war ein qualvoller Entschluß, den wir immer wieder durchsprachen und aus verschiedenen Perspektiven in Frage stellten. Ich war ganz dafür und ermutigte Sartawi, sich auf eine solche Möglichkeit vorzubereiten. Ich schlug sogar vor, er solle Arafat telefonisch um Vollmacht bitten und das Gespräch aufzeichnen, ich bot ihm auch an, wenn nötig noch einmal durch die Linien nach Westbeirut zu gehen, um eine schriftliche Bestätigung für ihn zu holen. Dann aber kam der kritische Moment für einen solchen Entschluß schließlich doch nicht. Am Rande des Abgrunds schreckten sogar Begin und Scharon davor zurück, den Befehl zum Todesschlag zu geben; dafür entschädigten sie sich, indem sie mörderische Luftangriffe auf die belagerte Halbmillionenstadt befahlen, während Itzhak Rabin Scharon empfahl, ihr Wasser und Strom abzuschalten.

Viele Faktoren wirkten zusammen und verhinderten den Angriff: der zähe Widerstand der Palästinenser, die wachsende Friedensbewegung in Israel, die Weltmeinung, zu der wir ein wenig beigetragen hatten. Vor allem aber war es die Opposition in der israelischen Armee selbst, die entsetzt war über die Vorstellung, mitten in einer dichtbevölkerten Großstadt eine Schlacht austragen zu müssen.

Nachdem unter amerikanischer Schirmherrschaft ein Abkommen erzielt worden war, räumten die palästinensischen Truppen nach 79 Kampftagen Westbeirut. Ich stand auf dem Dach eines Gebäudes im Beiruter Hafenviertel, als die ersten Lastwagen mit palästinensischen Soldaten auf dem Weg zum Schiff vorbeifuhren und ihre Fahnen, ihre Waffen und Porträts von Yassir Arafat schwenkten. Ein Kampf war beendet, aber der Krieg war bei weitem

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