Freij ist eine umstrittene Figur. Als christlicher Bürgermeister einer überwiegend christlichen Stadt war er den mehr religiös eingestellten MoslemKonservativen suspekt. Er versuchte, "zwischen den Regentropfen durchzugehen", wie ein hebräischer Spruch sagt: den isrealischen Behörden keinen Vorwand zu geben, ihn abzusetzen, seine guten Beziehungen zum jordanischen Regime aufrecht zu erhalten und loyal zur PLO zu stehen. Er unterhielt auch gute Beziehungen zu allen Kräften der isrealischen Friedensbewegung und erschien bei unseren öffentlichen Versammlungen und Symposien. Das alles erforderte viel Courage, was irgendwie nicht zu seiner ziemlich chaplinesken Erscheinung paßte, die sein kleiner Schnurrbart noch unterstrich.

Er empfing mich auf der großen Veranda seines Hauses, die einen weiten Blick auf das Land ringsum erlaubte. Traurig zeigte er auf die jüdischen Dörfer und Städtchen, die überall aus dem Boden schossen. "Jeden Tag schaue ich mir das an und sehe neue Gebäude hochkommen."

Freij wünschte sich eine Übereinkunft zwischen Arafat und Hussein und beklagte die Winkelzüge der Palästinenserorganisation, die verhinderten, daß dies schnell geschah. "Sie wissen nicht, was hier vor sich geht, daß die Zeit knapp wird, daß wir unsere Heimat verlieren, während sie reden", sagte er bitter und meinte mit "sie" die Extremisten in der PLO und die Demagogen und Opportunisten, die Vorgaben, Extremisten zu sein.

Er stimmte völlig mit Sartawi überein und meinte, daß eine Interessenvertretung für Frieden in der West Bank organisiert werden sollte. Er erklärte mir, was dafür nötig sei, und bat mich, Issam seine Gedanken zu überbringen. Als ich andeutete, daß ich möglicherweise bald Abu Amar sehen würde, rief er: "Sagen Sie es ihm! Sagen Sie ihm, daß wir in der West Bank entschlossenes Handeln für eine politische Lösung brauchen, die die israelische Besatzung beseitigt! Wir werden erstickt!" Und mit wedelnder Hand auf das Land weisend fügte er hinzu: "Sagen Sie ihm, was Sie hier sehen! Wir verlieren unser Heimatland! Wir haben keine Zeit mehr!"

Es war ein bewegender Augenblick. Da stand ich, ein Israeli, und sollte diesen Schrei der Verzweiflung dem Führer des palästinensischen Volkes überbringen. Er unterstrich einen bestimmten Aspekt der palästinensischen Situation, der mir schon viel Stoff zum Nachdenken gegeben hatte.

Die meisten, wenn nicht alle Befreiungsbewegungen stützen sich auf die Bevölkerung des besetzten Landes. Die PLO jedoch war von palästinensischen Flüchtlingen geschaffen worden, die vom 1948er Krieg über den ganzen Nahen Osten verstreut worden waren. Die Hauptbewegung, die Fatah, war von Menschen aus mehreren Ländern, hauptsächlich aus Ägypten, in Kuwait gegründet worden. Die Entwicklung der PLO in der Diaspora hatte sich überwiegend unter dem Einfluß der Hälfte des palästinensischen Volkes vollzogen, die außerhalb Palästinas lebte; sie war geprägt worden von den

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