Premierminister Eschkol sie nicht gesehen hätte. (Ich selbst habe ihm diesen Vorschlag in einem offenen Brief vorgetragen, den ich am fünften Tag des Kriegs veröffentlicht habe, und danach mit ihm auch persönlich über diese Thematik gesprochen.) Es eilt nicht, haben er und andere sich damals gesagt. Wir haben die Gebiete in unserem Besitz. Wir können warten. Die Palästinenser brauchen wir überhaupt nicht. Mit König Hussein können wir bei Gelegenheit verhandeln, wenn er von vornherein auf Ost-Jerusalem und andere Gebiete verzichtet. Vorläufig können wir ein paar Kibbuzim in den besetzten Gebieten errichten . . .

Eschkol sah nicht, was da mit ihm passierte. Vielleicht kannte der in Kiew geborene, mit 18 Jahren ins Land gekommene ehemalige Pionier sich in der griechischen Sagenwelt nicht aus. Sonst hätte er vielleicht an das Nessos-Gewand des Herakles gedacht, dieses Hemd, das der Held benötigte, um Zeus nach einem großen Sieg ein entsprechendes Opfer zu bringen. Er sandte einen Boten zu seiner Gattin Deianira, mit dem Auftrag, sich von ihr ein weißes Gewand geben zu lassen. Deianira ging hin und bestrich das Gewand mit einer Salbe, die ihr der von Herakles überwundene Centaur Nessos heimtückischerweise mit dem Hinweis geschenkt hatte, es handele sich um ein Mittel, mit dessen Hilfe sie die Liebe ihres Mannes wiedergewinnen könne. Tatsächlich war die Salbe aus den schrecklichsten Giftstoffen zusammengemischt und wirkte tödlich. Kaum hatte Herakles das Gewand angelegt, als er auch schon von entsetzlichen Schmerzen ergriffen wurde. Der arme Held konnte das Hemd nicht mehr ausziehen und übergab sich schließlich den Flammen.

Ohne es zu bemerken, war Israel 1967 ähnliches geschehen. Der Segen des Sieges erwies sich als ein verkappter Fluch. Das "Geschenk" der Gebiete war vergiftet und der Sechs-TageKrieg wie eine jener bösartigen Spielereien, mit denen gelangweilte griechische Götter sich ihre Zeit in der Ewigkeit vertreiben. Die Untergangsstimmung vor dem Krieg, der atemberaubende Sieg, die unglaublichen Eroberungen - alles war so

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