Ich bin von frühester Kindheit an praktisch in der Politik aufgewachsen und groß geworden mit der Erkenntnis - das hat mein Leben irgendwie geprägt-, daß Politik das Allerwichtigste im Leben ist, weil Politik das Leben bestimmt. Leute, die das nicht mitgemacht haben, verstehen das wahrscheinlich nicht. Für die meisten Menschen in Israel heutzutage und auch in Deutschland ist Politik etwas Außenstehendes, was man so als Sport von der Seite her betrachtet. Es gibt ein Fußballspiel zwischen Konservativen und Sozialdemokraten oder Arbeiterpartei und Likud, sehr amüsant, hat aber dabei nicht wirklich etwas mit einem zu tun - außer einmal in vier Jahren, wenn man wählen geht. Jemand wie ich, der das mitgemacht hat, weiß ganz einfach, daß Politik der Mittelpunkt des Lebens ist. Wir haben erlebt, daß Politik unser Leben über Nacht total verändert hat. Für ein Kind ist die Politik hauptsächlich visuell. Wir haben die Aufzüge der SA gesehen. Ich habe die SA, SS, die Reichswehr und andere Privatarmeen wie Reichsbanner Schwarz-RotGold, Rotfront und Stahlhelm miterlebt. Und wir sahen, wie die deutsche Republik versank. 1932 gab es drei oder vier Wahlen, Reichstagswahlen, Reichspräsidentenwahlen und ein paar andere. Wir lebten direkt in dieser Atmosphäre.

Mein Vater war von Jugend auf Zionist gewesen. Es war bei den Zionisten Tradition, als Geschenk einen Baum in Palästina zu pflanzen, und dafür bekam man seine Urkunde. Jemand hat meinem Vater und meiner Mutter zur Hochzeit 1913 so eine Urkunde geschenkt. Also war mein Vater schon vor dem Ersten Weltkrieg Zionist. Aber der Zionismus war für deutsche Juden ein

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