gesamt zum gemeinsamen Nenner der nationalen Identität entwickelt. Es ist so etwas wie die Seele einer Nation.

Gibt es diesbezüglich einen Unterschied zwischen palästinensischen Christen und palästinensischen Moslems?

Nein, nicht wenn es um Jerusalem geht. Meiner Meinung nach gibt es da keinen Unterschied. Vielleicht auf der religiösen Ebene hinsichtlich der Identifikation mit unterschiedlichen heiligen Stätten. Doch für mich stellt Jerusalem eine einzigartige Mischung dar. Al-Quds - die Heilige - ist einfach überwältigend. Der Olberg und die Via Dolorosa zum Beispiel haben mir seit jeher viel bedeutet; allerdings nicht aus religiöser Sicht, sondern vielmehr im Sinne einer umfassenden geschichtlichen, kulturellen und spirituellen Identifikation. Es ist wahrscheinlich eine mystische Erfahrung.

Ist Ihre Familie sehr religiös?

Nein. Meine Mutter war religiös; sie praktizierte den christlichen Glauben. Die gesamte Familie meines Vaters war ursprünglich griechisch-orthodox, was hierzulande meines Wissens die älteste christliche Tradition darstellt. Der Vater meiner Mutter gehörte ebenfalls der Kirche an, und meine Großmutter war Missionsschwester. Meine Mutter war daher sehr fromm, mein Vater dagegen ein ziemlicher Agnostiker, ein Sozialist. Ich wuchs also mit dieser Mischung auf. Mein Vater hat meine Mutter zur Kirche gefahren, das Gebäude aber nicht betreten. Er war jemand, der nicht nur Toleranz praktizierte, sondern auch den Pluralismus und das Nebeneinander verschiedener Möglichkeiten förderte.

Hatte für Sie als Kind, das nach Jerusalem zog - wenn wir einmal für einen Augenblick versuchen, den religiösen Aspekt

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