ich denke darüber nach. Diese Frau hat zwölf Kinder und wohnt irgendwo weit weg von hier. Würde ich in Tel Aviv bei meinen Kindern leben, bräuchte ich darüber nicht nachzudenken. Es würde mich nicht interessieren; so etwas interessiert in Tel Aviv niemanden. Für jemanden, der empfindlich ist, den solche Geschichten berühren, für den ist es allerdings schwierig; und das geht vielen anderen hier auch so.

Letztendlich existiert die Einstellung, daß Jerusalem die Hauptstadt Israels sein müsse, ihr Mythos und all das nur deshalb weiter, weil es ein gutes Motto für irgendwelche politischen Fahnen ist; weil es so eine Art Schlachtruf ist. Aber weil es ein Schlachtruf ist, achten 90 Prozent der Leute nicht darauf, und die 10 Prozent, für die es wichtig ist, sind damit beschäftigt, die anderen anzutreiben. Und diese Faktoren der tickenden Bombe verschwinden nicht.

Wie stehen Sie persönlich zu all diesen - teilweise lächerlich anmutenden - Diskussionen um die 3000-Jahr-Feier von Jerusalem 1996?

Die Menschen suchen stets Gründe, die ihnen eine Rechtfertigung geben, daß sie recht haben, daß sie schön sind, daß etwas durch sie entstanden ist. Unter diesem Aspekt sind die Feierlichkeiten zum 3000jährigen Bestehen Jerusalems zu sehen. Die Veranstalter beschränken dabei ihre Legitimation auf sich selber; die Araber werden nicht mit einbezogen. So entsteht ein Rahmen, innerhalb dessen man sich einbilden kann, daß einem Jerusalem für immer gehört. Mich stört das an sich nicht. Allerdings unter der Bedingung, daß es nicht gegen irgend jemanden gerichtet ist. Jerusalem ist bereits so gezeichnet, daß ich verstehen kann, daß beide Seiten eine Geschichte konstruieren müssen, um ihre Identität zu stärken. Und diese Stärkung der Identität geht selbstverständlich auf Kosten der anderen. Aber das war schon früher so. Es gehört zur

217