gen. Er schrieb in sein Tagebuch: "Ich glaube, für mich hat das Leben aufgehört und die Weltgeschichte begonnen." Das könnte leicht wie Größenwahn aussehen und war es vielleicht auch. Denn außer einer Idee, die auch nicht neu war - obwohl Herzl das nicht wusste -, hatte er nichts vorzuweisen. Für eine weitgeschichtliche Rolle schien er ein höchst unwahrscheinlicher Kandidat.

Herzl wurde als Sohn wohlhabender, weitgehend assimilierter jüdischer Eltern 1860 in Budapest geboren. Seit dem 19. Lebensjahr lebte er in Wien, fühlte sich stolz als "deutscher Schriftsteller" und wollte sich als solcher einen unsterblichen Namen rnachen. Vom Judentum wusste er so gut wie nichts; die assimilierten Juden, die er kannte, verachtete er. Er trat auf wie ein Dandy, legte größten Wert auf seine Kleidung, sah auch gut aus, hochgewachsen, mit ausdrucksvollen braunen Augen. Früh ließ er sich einen Bart stehen, um älter zu wirken. Frauen fühlten sich von ihm angezogen, aber er blieb einsam, galt als hochnäsig und hatte keine Freunde. Während seines Jurastudiums trat er einer deutschnationalen Burschenschaft bei, nahm Fechtunterricht, schlug sich auch einmal. Er heiratete ein reiches Mädchen und hätte sein Leben wohl als ein angesehener, mittelmäßiger Autor beendet, wenn er nicht mit einer unerklärlichen Erscheinung in Berührung gekommen wäre, die ihren Namen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erhalten hatte: dem Antisemitismus.

Natürlich hatte Herzl schon als Junge in Budapest antisemitische Bemerkungen erlebt, und auch Wien, wo damals zehn Prozent der Einwohner jüdisch waren, pflegte seinen Antisemitismus. Herzl nahm das aber lange nicht ernst - man ging über so etwas hinweg, weil man darin nur einen Ausdruck des Pöbels sah. Einmal rief ihm ein betrunkener Kadett "Saujud" nach, als er im Fiaker an ihm vorbeifuhr. Herzl war betroffen der Kerl kannte ihn doch gar nicht, er konnte über ihn nur wissen, dass er "eine Judennase und einen Judenbart" hatte, wie er schrieb, aber das genügte. Auch die antisemitische Schrift des angesehenen deutschen Professors Eugen Dühring erschütterte ihn. Aber das Ereignis, das seinem Leben die Wende gab, war

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