Wiedergutmachung und viele andere Gesten und Taten waren nötig, um das zu erreichen. Und es ist wirklich gelungen. Sogar in Israel, wo man im Sommer Zehntausende mit tätowierten Auschwitznummern auf den bloßen Armen auf der Straße sieht, wo Holocausterinnerungen täglich zur Sprache kommen, haben viele angefangen, an das andere Deutschland zu glauben. Das alles ist in Rostock in Flammen aufgegangen. Man glaubt zwar noch an ein anderes Deutschland, aber man ist nicht mehr sicher. Die alten Anti-Nazi-Filme, die man gesehen hat, die alten Assoziationen, die in der Erinnerung vergraben waren - sie tauchen unwillkürlich wieder auf.

Das wird sich in der Welt natürlich auch wirtschaftlich auswirken. Deutsche Produkte werden leiden, ganz einfach, weil bei vielen Menschen, auch ganz unbewusst, die Wörter "made in Germany" sich mit diesen Erinnerungen verbinden. Deutsehe Diplomaten, Unternehmer und Touristen werden es zu spüren bekommen. Wenn ich ein Deutscher wäre, würde ich mir ganz andere Sorgen machen. Sorgen, die sehr viel mit der so genannten "jüngsten Vergangenheit" zu tun haben.

Man spricht in Deutschland von einer "unbewältigten Vergangenheit". Das ist nicht der richtige Ausdruck. Natürlich ist die Vergangenheit nicht bewältigt. Aber man hat sich mit ihr in Wirklichkeit gar nicht befasst. Man hat sich mit ihr nicht wirklieh auseinander gesetzt. Was hat die zweite und dritte Generation über die Nazivergangenheit in der Schule gelernt? Von den Eltern gehört? Von den Lehrern erfahren? Was hat man ihr vermittelt außer dem Gefühl, dass hier etwas verheimlicht wird, etwas, was so schrecklich ist, dass man es am besten nicht berührt? An sich ist das verständlich. Die einfache Ungeheuerlichkeit des Holocaust - dieses einmalige, in der Weltgeschichte beispiellose Massenverbrechen, diese moderne, industrialisierte, zentral geplante Völkervernichtung - schreckt von einer ehrlichen Selbstbetrachtung ab. Es war leichter, es zu verdrängen. Leichter und gefährlicher. Verdrängung ist immer gefährlich, beim Einzelnen und - umso mehr - bei einem ganzen Volk. Das Verdrängte schwelt im Unterbewusstsein weiter und vergiftet

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