Keine "Sonderbehandlung"!

Antisemitismusdebatte und Israelkritik

3. Juni 2002

Wer Jude ist, bestimme ich!", sagte der antisemitische Bürgermeister Wiens, Karl Lueger, vor hundert Jahren. Jetzt hat sich der Spieß umgedreht: "Wer Antisemit ist, bestimmen wir."

Es ist für die Regierung Israels natürlich sehr bequem, jede Kritik an ihrer Politik im Ausland als antisemitisch zu stigmatisieren - auch wenn die Kritiker dasselbe sagen wie viele Israelis. Waren die 100 000 Israelis, die vor ein paar Wochen in Tel Aviv gegen Sharon protestierten und "Raus aus den besetzten Gebieten" forderten, alle Antisemiten?

Natürlich gibt es überall in Europa Antisemiten. Natürlich ist ihr Gedankengut ekelhaft. Natürlich versuchen sie, den jetzigen Sturm der Entrüstung gegen die Politik Sharons auszunutzen. Ist das ein Grund, jegliche Kritik zu tabuisieren?

Ich möchte mich nicht in die Debatte in Deutschland einmisehen; ich weiß zu wenig über die Personen, die Hintergründe und die Aussagen. Ich möchte nur etwas Grundsätzliches dazu sagen. Wir Israelis wollen ein Volk wie alle Völker sein, ein Staat wie alle Staaten. Wir haben unsere eigenen Probleme, die mit den Problemen der Juden in anderen Ländern wenig zu tun haben. Es gibt viele eingefleischte Antisemiten auf der Welt und besonders in Amerika, die von Sharon begeistert sind. Es gibt viele ausgesprochene Philosemiten, die über seine Politik entsetzt sind. Wir müssen klar zwischen den beiden unterscheiden: Israel und den Juden in der Welt. Israel ist ein Staat mit geopolitischen Interessen, die Juden sind Bürger anderer Staaten und haben Interessen wie jede andere Gemeinde. Israel muss mit denselben moralischen Maßstäben wie jeder andere Staat gemes-

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