Wenn sich Uri einerseits auch vollständig von seiner Vergangenheit in Deutschland lossagte, nur noch mit seinen Eltern Deutsch sprach, so hielt die große deutschsprachige Bibliothek mit den Klassikern, die seine Eltern nach Israel gerettet hatten, dennoch eine lose Verbindung zur deutschen Sprache aufrecht. Zwischen seinem zehnten und seinem fünfzehnten Lebensjahr las er nahezu alle ihre deutschsprachigen Bücher; auch heute noch bewahrt er sie in seiner Wohnung auf.

Uri besuchte gemeinsam mit seinem Bruder für einige Monate die kooperative Siedlung Nahalal, um Hebräisch zu lernen; nachmittags arbeiteten sie in der Landwirtschaft. Diese Siedlung ist in Israel sehr bekannt, weil dort auch der acht Jahre ältere Moshe Dayan aufgewachsen ist. Danach kehrte Uri zu seinen Eltern nach Tel Aviv zurück und besuchte bis zum Alter von 14 Jahren die dortige Grundschule. Nun erschien ihm die Schule angesichts ihrer schwierigen ökonomischen Lebenssituation als ein "verschwenderisch langsamer Weg zum Wissenserwerb" (Avnery 1969, S. 12). Daher begann er für fünf oder sechs Jahre eine Tätigkeit als Sekretär bei einem Rechtsanwalt, lernte so die Gerichtshöfe kennen und wohnte stundenlang Gerichtsverhandlungen bei. Auch erlernte er bei seinen Kontakten mit der englischen Mandatsverwaltung Englisch - es wurde sozusagen seine dritte Muttersprache. Diese Tätigkeit brachte es mit sich, dass er regelmäßig ein- oder zweimal pro Woche für seinen Anwalt im arabischen Jaffa arbeitete. Jaffa liegt zwar unmittelbar bei Tel Aviv, dennoch gab es nahezu keinerlei Kontakte zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen; Avnerys Tätigkeit als "Grenzgänger" war eine ganz große Ausnahme. Dort lernte er die Armut, aber auch die Kultur, die Sprache, die Musik und die Speisen der Araber kennen. Es entwickelten sich über diese kontinuierliehen Begegnungen mit der arabischen Bevölkerung zwar keine direkten Freundschaften, dennoch erwuchs hieraus ein Gefühl des Vertrautseins. Der Mangel solcher Begegnungen zwischen Israelis und der arabischen Minderheit in Israel, der heute, nach der kurzen euphorischen Hoffnungsphase Mitte der neunziger Jahre, die Beziehungen - oder vielmehr Nicht-Beziehungen -

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