iß. Februar 1948, Ausbildungslager

Die erste Stunde

Sie kommen einzeln. Einer nach dem anderen. Einige kommen

mutigen Schrittes daher, mit einem erzwungenen Lächeln, das Selbstsicherheit Vortäuschen soll. Sie geben der Wache am Tor ihren Gestellungsbefehl, als würden sie einem Kontrolleur im Bus ihren Fahrschein zeigen. Sie versuchen, mit einem schnellen Blick das ganze Lager zu erfassen, legen ihr Gepäck auf den Boden, zünden sich eine Zigarette an und warten auf das, was auf sie zukommt. Aber es gibt auch andere, die sich mit zögernden Schritten dem Tor nähern, einen letzten, sehnsuchtsvollen Blick auf die "zivile" Straße hinter sich werfen und wie kleine, unsichere Kinder warten, als hätten sie Gewissensbisse.

Man kann die verschiedenen Typen sogar an der Kleidung un-

terscheiden. Die einen kommen wie Stabsoffiziere gekleidet. Sie haben ihre Uniform, die Kampfjacke - auch im Hebräischen battle dress genannt17 - und die Khakihose "draußen" gekauft. Ihre Strumpfmütze ist zerknüllt, als habe sie schon zwei Dienstjahre hinter sich. Daneben stehen die Zivilisten - bunte Hemden, karierte Jacken, sogar Krawatten sind zu sehen.

In diesem Moment stehen sie nebeneinander, schauen sich an sind sich fremd. In wenigen Stunden werden sie zusammen leben, in der Schlange zum Essenfassen stehen, sich bei der Morgenrasur drängen, sie werden sich Schuhcreme borgen und sich mit traditionellen Flüchen in 14 verschiedenen Sprachen belegen. Jetzt sind sie sich noch fremd. Die Entfernung zwischen ihnen ist riesig - im Land geborene, traditionsbewusste Jemeniten, Jeckes18, dicke und dünne, ein rundlicher, bebrillter Junge, der bis gestern kaufmännischer Leiter einer Fabrik war, und der kleine Ezra, der Eisverkäufer vom Strand, der dasteht wie ein schiefes Fragezeichen.

Hier und da wird die Mauer durchbrochen. Die Aktiveren nehmen Kontakt auf. Der großgewachsene Blonde erbittet vom kleinen Jemeniten eine Zigarette, es entwickelt sich ein erstes Gespräch aus wenigen Sätzen - und daraus entsteht eine FreundSchaft, die in einigen Wochen jeder im großen Ausbildungslager kennt. In einer anderen Ecke vergleichen einige die Preise ihrer battle dress. Die Themen der Gespräche rollen von hier nach da, "Bekanntschaften" entstehen - eine "Familie" ...

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