schwer. Oder? Vielleicht denken die Freunde ähnlich? Trauen sich nur nicht, darüber zu reden, damit man sie nicht für Weicheier hält?

Hinter ihm klapperte eine Tür. Eine Sekunde später stand er vor einer dunkel gekleideten Leiche. Für einen Moment war er wie ein erfahrenes Wildtier, das mit einem geübten Instinkt der Selbsterhaltung funktioniert: In einer einzigen Bewegung war er zur Seite gesprungen, hatte sich umgedreht und geschossen. Und da lag nun die Leiche.

Sein Herz, das für einen Moment zu schlagen aufgehört hatte, pochte wieder. Das erste Gefühl war Freude. Die natürlichen Reflexe hatten funktioniert. Man konnte sich darauf verlassen - im Fall der Fälle würden sie ihn retten. Das ist der Lohn eines Mannes, der sich in Gefahr begibt. Das Gefühl, dass er einer Gefahr entronnen ist. Gefahr? Welche Gefahr? Er betrachtete die Leiche. Eine alte, dürre Araberin. Vermutlich war sie geblieben, weil ihre Kräfte für die Flucht mit den anderen nicht ausgereicht hatten.

Wie konnte ich wissen, dass es kein bewaffneter Mann war?

Selbstverteidigung in Notwehr. Das war alles.

Die Alte sah ihn aus halb geöffneten Augen an. Ihr Mund war schief verzogen, als lachte sie über seine faulen Ausreden. Er wollte davonrennen. Aber er konnte es nicht. Etwas zog ihn, zwang ihn, in das niedrige, ungepflegte Zimmerchen einzutreten. Ein fast leerer Raum. Eine zerbrochene Sense, ein Haufen Stroh in der Ecke, eine zerrissene, verdreckte Matratze, ein schmutziger Teller und ein riesiger Spiegel. Der Spiegel ärgerte ihn. Warum findet man in jedem arabischen Zimmer einen Spiegel? Rafi wollte sich in diesem Moment nicht sehen. Die Sten war noch immer durchgeladen. Er schoss und zertrümmerte den Spiegel.

Auf dem Boden lag eine rote Gebetskette. Das war einer der

Gründe, warum er sich von der Truppe entfernt hatte. Er wollte eine Gebetskette für Rinah finden. Mit kindlichem Stolz hatte sie ihm eine Kafijah gezeigt, die ihr Moshe geschenkt hatte, und hatte ihn um eine Gebetskette gebeten. Und er, der große Kriegsheld, hatte ihr nicht erzählt, dass Moshe die Kafijah vermutlich einem gefallenen Soldaten oder einem geflüchteten Fellachen abgenommen hatte. Er hatte geschwiegen und ihr die Gebetskette

versprochen. Jetzt hatte er die Kette. Wahrscheinlich das einzige

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