Ich liege in meiner verdreckten Kleidung auf dem Bett und lese zum tausendundersten Mal Im Westen nichts Neues von Erich Maria Remarque. Eigentlich lese ich gar nicht. Ich überfliege die Zeilen. Der Inhalt geht an mir vorbei. Eine große Müdigkeit hat mich erfasst. Sie macht mich gleichgültig. Das ist nicht nur die körperliche Müdigkeit eines Rekruten, der sein Leben lang mit dem Kopf gearbeitet hat und der plötzlich anstrengende körperliche Übungen machen muss. Es ist vielmehr die mentale Hilflosigkeit, der erste Schock. Drei Wochen lang wurde meine Seele in den Zwängen der Militärdisziplin erstickt, wo sie mit der grausamen Herdenrealität konfrontiert wurde. Man ist ohne eigenen Willen. Jeder Idiot, den der Zufall zum Zugführer ernannt hat, kann mich schikanieren, wie er es gerade will.

Der Zugführer ... Erleichtert erinnere ich mich, dass unsere Chefs nicht da sind. Sie wurden plötzlich als Reserve alarmiert, da am Keren-Kajemet-Haus in Beith Dagon1 gekämpft wird.

Ein Windstoß geht durch das Zelt und die Flamme in der Petroleumlampe flackert stark. Ohne mich umzudrehen weiß ich, dass Sancho zurück ist.

"Was? Schon zwölf?" Ich schließe das Buch und gähne. Offenbar habe ich nicht gemerkt, wie die Zeit vergangen ist.

"Nein. Erst elf", antwortet Sancho mit merkwürdiger Stimme.

Auch der Inhalt der Worte ist eigenartig. Er hatte Urlaub bis Mitternacht. Warum kommt ein Soldat mit wachem Verstand eine ganze Stunde vor Ende des Urlaubs zurück, wo doch draußen Mädchen und Kaffeehäuser auf einen warten, hier drinnen aber nur die Langeweile? Es ist ein Vertrauensbruch! Nur mit Mühe konnte ich ihm diesen sechsstündigen Urlaub organisieren. Der Kompaniechef, der die offiziellen Kulturzuständigen hasst und weiß, dass ich im zivilen Leben ein "Intelligenzler" war, hat mir als Nebenjob die Zuständigkeit für die "Kulturangelegenheiten" der Kompanie übertragen. So ist es mir gelegentlich gelungen, Karneraden mit fragwürdigen Argumenten nach draußen zu schleusen. Sancho ist - offiziell - in die Stadt gefahren, um ein Akkordeon für eine Feier zu besorgen. Wenn er eine ganze Stunde vor der Zeit zurück ist, muss etwas Fürchterliches passiert sein.

"Bauchweh?", versuche ich eine Annäherung.

"Job tfaio mat2!" antwortet Sancho und legt sich auf sein Bett, ohne sich auszuziehen.

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