Rachel rennt aus dem Zimmer. Vielleicht weint sie. Die De-

ckenleuchte bleibt an.

Wir sind allein - er, ich und der röchelnde Atem.

Plötzlich bemerkt er meine Anwesenheit. Ganz langsam dreht er den Kopf in meine Richtung. Unsere Augen begegnen sich

und sein Blick sticht mir in die Augen. Es ist ein konzentrierter Blick voller Hass - primitiver, einfacher, endloser Hass.

Ein furchtbares Schuldgefühl kommt in mir hoch. Warum hasst er mich? Ahnt er, dass meine Chancen zu überleben größer sind als seine? Ich fühle den inneren Zwang, mich bei ihm zu entschuldigen, ihm zu erzählen, dass auch ich vielleicht sterben werde, ich würde ihm alles sagen - nur damit er diesen anklagenden Blick von mir abwendet.

Ob er mich hasst, weil ich ein Soldat der Haganah war, während er im Etzel gewesen ist? Soll ich ihm erzählen, dass auch ich einmal Mitglied im Etzel war, vor vielen Jahren?

Ein Mann des Etzel.

August 1938. In einem Monat werde ich 15 Jahre alt. Seit zwei Jahren toben Unruhen im Land. Die Führungsleute des Jishuv predigen Zurückhaltung und fordern Hilfe von den Briten. Ihre Hoffnung richten sie auf die Teilung des Landes. Eine radikale Minderheit fordert Strafaktionen und ist gegen die Teilung. Ich bin 14 Jahre alt und mein Herz schlägt für diese Minderheit.

Es ist acht Uhr abends. Ich gehe die Kalischer Straße entlang und nähere mich der alten Schule an der Ecke zur Hatavor-Straße. Mein Puls rast und meine Knie schlottern. Es ist die größte Stunde meines Lebens. Hinter mir liegen langweilige Schuljahre, die keinen Eindruck bei mir hinterlassen haben. Danach kamen einige Monate Arbeit, erst in einer Werkstatt, dann im Büro. Nun liegt ein neues Leben vor mir. Ein Leben voller Gefahren und Ziele. Wie alle in meinem Alter zieht mich die Politik magisch an. Ohne Politik ist das Leben leer, ohne Sinn und Zweck.

Am Eingang zur Schule stehen zwei Jugendliche ziemlich lässig herum und sehen mich verächtlich an. Zitternd gehe ich an ihnen vorbei. Wache! Untergrund! Romantische Bücher und Filme gehen mir durch den Kopf. Das ist die Gefahr! Das wahre Leben! Ich bin von dem Willen überwältigt, für etwas zu kämpfen, obwohl ich noch nicht genau weiß, wofür.

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