Jehuda-Straße zu. Da die Straße, in der wir laufen, schmal ist und es keinen anderen Weg in die Stadt gibt, versammeln sich viele Jugendliche um uns. Keiner hat etwas geahnt, aber plötzlich bildet sich eine Demonstration.

Einer der Anführer der Zionistischen Jugend schlägt sich zu mir durch und verlangt, ich solle die Fahne zusammenfalten. Ich beachte ihn nicht. Das Gefühl, dass ich eine Demonstration anführe, bringt mich fast um denVerstand. Er hat keine Wahl und geht neben mir weiter.

"Frei-e Ein-wan-de-rung!", schreie ich, "Frei-e Ein-wan-derung!"

"Frei-e Ein-wan-de-rung!", wiederholt die Masse.

"Be-sied-lung!", "Ver-tei-di-gung!", ruft jemand.

"Frei-heit o-derTod!", skandiert die Menge hinter mir.

ln der kleinen Stadt spricht sich sehr schnell herum, dass eine Demonstration im Gange ist. Auf beiden Seiten der Allenbystraße stehen Neugierige und versuchen herauszubekommen, ob es ein Zug der Haganah oder des Irgun ist. Joske, mein Gruppenkamerad im Irgun, steht am Straßenrand und schaut verächtlich zu. Plötzlieh erkennt er mich und winkt mir. Ich übersehe ihn. Er drängelt sich durch die Menge zu mir hin und schreit mir ins Ohr: "Bist du verrückt? Der Irgun hat doch jede Teilnahme verboten!"

Mir ist alles egal. Ich bin besoffen vor Glück. "Geh zum Teufei!", schreie ich zurück. Er starrt mich entsetzt an. Der Gedanke, man könne sich einem Befehl des Irgun widersetzen, ist ihm noch nie gekommen. Er verschwindet.

Die Anführer der Zionistischen Jugend, die hinter mir marschieren und denen dieser Bruch der "nationalen Disziplin" überhaupt nicht passt, beraten sich. "Was können wir tun?", höre ich hinter mir. "Er ist verrückt. Will die Fahne nicht abgeben!"

Ein Gruppenführer redet auf mich ein, den Wahnsinn abzu-

brechen. Es gebe ein Gerücht, britische Polizisten hätten sich an den Bahngleisen aufgestellt und würden auf uns schießen, wenn wir uns dem Gouverneurshaus nähern sollten. Ich würde für das Blutvergießen verantwortlich sein. Ich zögere, gebe dann auf. Wir werden die Demonstration an der großen Synagoge beenden.

Die Jugendführer und ich steigen auf die Freitreppe. Jemand hebt mich auf das Geländer. Um mich herum wird es still. Hun¬

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