Jedoch - als Sartawi dieser entsetzlichen Episode nachging, kam allmählich ein völlig anderes Bild zum Vorschein. Als Vertreter der Fatahbewegung hatte er freien Zugang zu irakischen Amtsarchiven. Bald stellte er fest, daß die Nationalisten einschließlich des Mufti Bagdad schon verlassen hatten, als das Massaker geschah. Es war eine Zeit der Herrschaftslosigkeit, so etwas wie ein Interregnum. Ganz offenkundig aber war, daß es der britischen Armee zu diesem Zeitpunkt freigestanden hätte, in Bagdad einzuziehen, das von feindlichen Truppen geräumt war, und daß sie das Pogrom mühelos hätte aufhalten können. Aber sie tat es nicht; absichtlich, wie Sartawi meinte.

Seine Theorie war, daß die Briten und ihre örtlichen Verbündeten das Pogrom gefördert hätten, um dem allgemeinen Gefühl die Spitze abzubrechen, auf den britischen Tanks zögen der König und seine Leute als Handlanger der Briten wieder in Bagdad ein. Das Pogrom diente als Ventil für Haß und Frustration und erlaubte dem neuen Regime, sich den Fanatismus der Menschen zunutze zu machen.

Je weiter er bei seinen Nachforschungen vordrang, um so dicker wurde der Nebel. Alle einschlägigen britischen Akten unterlagen der strengsten Geheimhaltung. Ungeduldig wartete Sartawi auf die Herausgabe amtlicher britischer Dokumente, als die Zeit der Geheimhaltungspflicht abgelaufen war. Er ging hin und studierte die Akten persönlich, wobei er sich von der wachsenden Zahl seiner einflußreichen britischen Freunde und auch von Said Hammami helfen ließ. Aber es war vergeblich. Wie es schien, waren die relevanten Papiere zwecks ganz besonderer Behandlung aussortiert worden. Die britischen Behörden wendeten auf sie einen selten in Anspruch genommenen Paragraphen an, der ihnen erlaubt, ein Publikationsverbot bis über das Jahr 2000 hinaus zu verlängern, wenn nationale Sicherheitsinteressen auf dem Spiel stehen. Und sie blieben unerschütterlich, auch als Sartawi einen seiner Freunde dazu brachte, dies zum Gegenstand parlamentarischer Anfragen zu machen. Das alles wirkte auf Sartawi wie die Bestätigung seines Verdachts. Aber im Hinblick auf das Los der irakischen Juden gab es noch eine andere Episode, die ihn fesselte.

1950, als der sechzehnjährige Sartawi in Bagdad lebte, gab die irakische Regierung plötzlich bekannt, daß jeder Jude, der den Irak zu verlassen wünsche, unter Verzicht auf seine Staatsbürgerschaft und sein Eigentum gehen könne. Das sollte zweifellos den Juden erlauben, in den neuen Judenstaat in Palästina zu ziehen, und es war zu vermuten, daß zwischen dem Haschemitenregime im Irak und der Ben-Gurion-Regierung in Israel so etwas wie ein Abkommen geschlossen worden war. Zu vermuten war auch, daß der zurückbleibende jüdische Besitz vom irakischen Staat nicht in vollem Umfang legal enteignet würde, sondern daß einiges davon den Weg in die Taschen der korrupten irakischen Führer fände.

Das Dekret setzte eine Frist für den Auszug der Juden. Doch merkwürdiger¬

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