Meinung nach waren die Juden das Überbleibsel einer alten Zivilisation, das mit Hilfe des Zionismus Teil der modernen Zivilisation geworden war. Der Zionismus als Bewegung war gewissermaßen ein Instrument zur kollektiven Assimilation der Juden in die Gesellschaft des zwanzigsten Jahrhunderts. Issam war damit weitgehend einverstanden. Seine Haltung zu Israel und zum Zionismus war zwiespältig. Er war als Feind an Israel interessiert, aber aus dem Interesse ergab sich eine Bindung, die nicht ausschließlich feindselig war. Uns war ja umgekehrt das gleiche widerfahren. Es war eine Art von Symbiose. Ich erzählte ihm, daß ich 1949 eine Broschüre mit dem Titel Pax Semitica geschrieben hätte, in der ich eine multinationale, aber nicht antinationale Konföderation des Nahen Ostens vorschlug, die ich "die Semitische Region" nannte. Sein Kommentar: "Eine gute Idee." Eines Tages, so beschlossen wir, wollten wir ein gemeinsames semitisches Manifest veröffentlichen, das dazu aufruft, alle Mittel zusammenzuwerfen - das Öl, die menschliche Arbeitskraft, die Dynamik unserer Völker.
Als wir uns nach dieser Gesprächsrunde trennten, sagte er: "Auf Wiedersehen, wenn ich nicht umgebracht werde."
Ich erwiderte voller Optimismus, der mehr dem Alkohol entsprang als den Realitäten: "Ich habe das Gefühl, daß keiner von uns beiden umgebracht wird."
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In dieser Zeit stand ich in enger Verbindung mit Bruno Kreisky, wir wechselten häufig Briefe mit Kommentaren zur Lage. Hauptthema war das Auf und Ab der israelisch-ägyptischen Beziehungen. Kreisky hatte einen großen, weithin ungewürdigten Beitrag zur Schaffung des Hintergrunds für die SadatInitiative geleistet. Er hatte Sadat die Türen Europas geöffnet. In seiner typisch österreichischen Weisheit wollte er nun dasselbe für Arafat tun: Er wollte ihn "salonfähig" machen in der wohlerzogenen europäischen Gesellschaft. Da er die jüdische Lobby nicht fürchtete, war er der richtige Mann, um den Präzedenzfall zu schaffen, dem andere europäische Staaten folgen konnten und dem, so hoffte er, am Ende auch die amerikanische Administration nacheifern würde.
Im Sommer 1979 errang Kreisky einen überwältigenden Wahlsieg. In der Wahlnacht gab es überschwengliche Siegesfeiern. Meine Freundin Barbara Taufar und ihre Freundin Margit Schmidt, Kreiskys Sekretärin, feierten mit Issam und wurden herrlich betrunken.
Mit das erste, was der im Amt bestätigte Bundeskanzler tat, war, daß er Arafat nach Wien einlud - noch nicht in seiner Eigenschaft als österreichischer Regierungschef, sondern als Vorsitzender der Sozialistischen Partei Österreichs. Als ich las, Arafat sei in Wien eingetroffen, rief ich Kreisky zu Hause an und wollte ihn bitten, Arafat zu einer Geste gegenüber der israelischen Frie-