Es war - und ist auch heute noch - ein zionistischer Glaubensartikel, daß Palästina gegen Ende des letzten Jahrhunderts ein leeres Land war, also "ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land". Erst nach und nach entdeckte man, daß sich in diesem Land nicht nur die Gräber der Väter, sondern auch eine halbe Million lebendiger Menschen befanden. Das hat die Zionisten aber nicht davon abgehalten, dieses Land aufgrund "historischer Rechte" für die Lösung der Judenfrage in Anspruch zu nehmen. Dabei konnten sie weder die Rechte des einheimischen Volkes noch auch nur seine Existenz anerkennen. Golda Meir hat noch vor zwanzig Jahren bestritten, daß es ein palästinensisches Volk überhaupt gibt. Um diese Behauptung aufrechterhalten zu können, werden in Israel oft wahre intellektuelle Verrenkungen vollführt. Es gibt z. B. äußerst dumme Bücher, die "beweisen", daß die Palästinenser erst nach der zionistischen Einwanderung ins Land gekommen sind. (Mir selbst hat man einmal in der Knesset vorgeworfen, daß "Uri Avnery und der Mufti das palästinensische Volk erfunden haben". Mit "Mufti" war der Groß-Mufti von Jerusalem, Hadschi Amin Al-Husseini, gemeint, ein palästinensischer Pührer, der in den dreißiger Jahren der Hauptfeind der jüdischen Besiedlung war und später mit den Nazis paktierte.)
Diese prinzipielle Nicht-Anerkennung besitzt ihre Parallele auf der anderen Seite. Es ist für einen Palästinenser (und überhaupt für einen Araber) beinahe unmöglich, das Existenzrecht Israels oder die Existenz einer jüdischen bzw. israelischen Nation anzuerkennen. In den Augen der Araber stellen die Juden nichts anderes als eine Religionsgemeinschaft dar, und die Zionisten stehen für ein Gesindel von Abenteurern, die von den Imperialisten im Lande installiert wurden, um Palästina den Arabern wegzunehmen. Man könnte glauben, daß diese primitiven Einstellungen mittlerweile überwunden sein sollten. Eine Menge israelischer und palästinensischer Erklärungen, die die Gegenseite offiziell anerkennen, existiert ja zumindest schon, aber das alles betrifft nur die Oberfläche der Geschehnisse. In der Tiefe des nationalen Unbewußten beider Seiten rumoren