und -Enzyklopädien, in Schulen und Universitäten wird die Geschichte des Holocausts gelehrt, alle Medien beschäftigen sich ständig mit ihr. Ausländische Würdenträger werden zu dem Holocaustmuseum "Jad Vaschem" geführt wie anderswo zum Grabe des unbekannten Soldaten. (Jad Vaschem, wörtlich "Hand und Name", ist ein biblischer Ausdruck für Gedenken.) Eine andere Einstellung als diese würde als Verrat an den Opfern empfunden werden.

Der Holocaust steht daher immer im Hintergrund der deutsch-israelischen Beziehungen und wird dort auch für lange Zeit bleiben. An der Oberfläche haben sich diese Beziehungen schon lange normalisiert. Gegenseitige Besuche von Politikern und Privatpersonen sind zur Routine geworden, viele Freundschaften haben sich gebildet, deutsche Waren sind in Israel populär, Mercedes und BMW gehören auch hier zu den Statussymbolen. Leicht könnte man zu der Annahme gelangen, daß damit alles wieder gutgemacht wäre. Aber diese Normalisierung ist eine nur scheinbare. In Israel trifft man viele Männer und Frauen, die sich in jeder Beziehung wie alle anderen benehmen, die Witze erzählen, Enkelkinder betreuen, sich über Kleinigkeiten aufregen, Geburtstage feiern - bis man einen exponierten Nerv berührt und sich herausstellt, daß sie Insassen von Auschwitz waren, durch Zufall den Gaskammern entkommen sind, Todesmärsche mitgemacht haben. Solche Erinnerungen, tief und weit verdrängt, um ein Weiterleben möglich zu machen, können plötzlich herausbrechen, vor allem dann, wenn ein neuer Angstzustand entsteht.

Ähnlich sieht es aus im Hinblick auf die sogenannten "normalen" Beziehungen zwischen Israel und Deutschland. Sie können sich in dem Augenblick verändern, in dem etwas passiert, was an die Vergangenheit erinnert. Und was könnte mehr an die Vergangenheit erinnern als deutsche Giftgaslieferungen an Israels Feinde? Man war überzeugt, daß die deutschen Behörden diese Geschäfte jahrelang duldeten, oder sich zumindest so nachlässig verhielten, daß es in diesem Fall einer Befürwortung gleichkam.

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