In der Realität waren die Differenzen zwischen zwei verschiedenen rabbinischen Gruppen nicht selten größer als diejenigen zur nichtjüdischen Welt - genauso wie Luther, als er sich dem Papst widersetzte, als schlimmerer Feind galt als Mohammed, Konfuzius oder Moses. Wenn man das moslemische Viertel betrachtet - und ich werde mir der zunehmenden Verteufelung des Islam immer bewußter -, so herrscht dort in der Tat dasselbe pluralistische Muster vor, in dem Sinne, daß es beispielsweise innerhalb des moslemischen Viertels und der Altstadt ein marokkanisches Unterviertel gab, das 1967 abgerissen wurde, um den Platz vor der Westmauer zu schaffen. Es gibt Moslems, die aus Afrika gekommen sind, aus dem Tschad, Nigeria, dem Senegal. Es gibt aber auch diejenigen, die im 12. Jahrhundert mit Salah ad-Din (Saladin) kamen, zu seiner Verwandtschaft gehörten - Kurden, die ihr eigenes Unterviertel haben. Es gibt Menschen aus Afghanistan, aus Indien - auch sie haben in der Nähe des Herodestors ihr eigenes Viertel. Es gibt sogar ein Romaviertel, ein Unterviertel im moslemischen Altstadtbereich, moslemische Roma, die aus Indien gekommen sind und sich in der Stadt niedergelassen haben.
Mein grundlegendes Problem mit der israelischen Besatzung Jerusalems besteht darin, daß man es hier mit einem System zu tun hat, das über Entschlossenheit, eine Doktrin, eine Ideologie sowie Motivation verfügt und es darauf abgesehen hat, diesen Pluralismus zugunsten einer einzigen Version zu zerstören.
Natürlich werden auch zahlreiche Mythen geschaffen. Zu den größten Mythen gehört, daß dies eine vereinte Stadt sei. Meiner Meinung nach ist Jerusalem stärker geteilt als je zuvor. Für die Zukunft sollten wir im Geiste Ihrer Unser-Jerusalem-Initiative ein Zeichen setzen, Mittel und Wege finden, die Stadt zu einen, ohne den Pluralismus zu vernichten. Von 1948 bis 1967 gab es eine reelle Barriere, das Mandelbaumtor.