Die Absperrungen im Norden und Süden Jerusalems haben also im gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereich der Palästinenser starke Veränderungen bewirkt. - Ich möchte jetzt noch zu einem anderen Thema übergehen, nämlich der israelischen Siedlungspolitik in Jerusalem und der damit verbundenen Stadtplanung. Ostjerusalem war ja wirklich einmal eine schöne Stadt. Ich denke da zum Beispiel an Viertel wie Sheikh Jarrah oder Talpiot. Dann kam eine israelische Stadtverwaltung, die darauf aus war, den Palästinensern keine weiteren Baugenehmigungen zu erteilen. Dennoch bauten viele ohne Genehmigung. So entstanden einige Viertel im Ostteil der Stadt, die vom Äußeren her häßlich sind. Aber vor allem gibt es in diesen Vierteln keine Gemeinschaft mehr wie etwa in Ramallah oder Bethlehem. Die Menschen kümmern sich nicht mehr umeinander, kennen sich nicht einmal. Sie bauen zwar ihre Viertel, aber es entsteht keine Gemeinschaft, keine Kommunikation. Alles verliert sich innerhalb der Stadt. Die Angst, die die Menschen während der Intifada durchlebt haben, hat das noch verstärkt. Das arabische Zusammengehörigkeitsgefühl und die Nachbarschaftlichkeit, die wir in Ostjerusalem früher kannten, sie gibt es heute nicht mehr. Viele Palästinenserziehen aus Jerusalem weg, andere kommen von außen hinzu. So entsteht eine Ansammlung von Menschen, von der ich nicht weiß, ob es eine Gemeinschaft ist.

Zu dem Punkt muß ich sagen, daß ich die arabische Gesellschaft von Jerusalem mit intakten Strukturen und Kontinuität für ein Märchen halte. Es gibt sie bereits seit 1948 nicht mehr. Ich habe dies untersucht. Viele Palästinenser haben die Stadt schon damals verlassen. Von den ursprünglichen Jerusalemer Familien lebt fast keine mehr hier. Heute sind etwa 40 Prozent der Palästinenser Jerusalems aus Hebron, andere kommen aus den Dörfern der Umgebung oder sonst irgendwoher

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