immer verfolgt, ins Gefängnis geworfen oder gekreuzigt. Und ein altes hebräisches Sprichwort sagt: "Seit der Zerstörung des Tempels ist die Gabe der Prophezeiung nur den Idioten gegeben." Natürlich handelt es sich nicht um Prophezeiung. Um vorausZusagen, was geschehen wird, muss man zuhören, was der Andere sagt - wirklich zuhören, mitdenken, mitfühlen, mitleiden. Und gerade das ist so schwer, denn in einem Krieg, der schon 120 Jahre andauert und der wie jeder Krieg massenhaft Angst, Hass, Vorurteile und Stereotypen erzeugt, will keine Seite hören, was die andere sagt. Man hört nur sich selbst, und die eigene Propaganda wird zur eigenen Überzeugung. Ich habe versucht, das zu überwinden.

"Bist du eigentlich ein Optimist oder ein Pessimist?", fragte mich einmal ein deutscher Freund. "Deine Artikel machen den Eindruck, dass du ein äußerst pessimistischer Optimist bist."

Wenn ich die nahe Zukunft betrachte, bin ich wirklich pessimistisch. Der Zusammenprall der zwei großen Bewegungen der israelisch-zionistischen und der arabisch-palästinensischen ist in vollem Gang. Der Kompass zeigt auf Sturm - mehr Blut, mehr Tränen, mehr Gräber.

Ich habe keine Illusionen - ich bin eher skeptisch. Ich kenne die Kräfte, die im Spiel sind, und auch viele der Akteure. Wenn im so genannten "Friedensprozess" etwas schief gehen kann, wird es schief gehen. Wenn nichts schief gehen kann, wird wahrscheinlich doch etwas schief gehen.

Trotzdem bin ich ein unverbesserlicher Optimist. Ich habe viele Gründe, es zu sein. Zum einen bin ich als Optimist geboren, bin also ein genetischer Optimist. Ich habe den Optimismus von meinem Vater geerbt - es war mein einziges Erbe, aber wertvoller als Geld und Besitz.

Mein Vater flüchtete, als er schon 45 Jahre alt war, im Schicksalsjahr 1933 mit Frau und vier Kindern aus Deutschland. Als alter Zionist ging er direkt nach Palästina, ein fremdes, armes Land mit einem ungewohnten heißen Klima und einer fremden Sprache, die er nie lernte. In Deutschland war er Privatbankier und hatte nie körperlich gearbeitet; in seinem neuen Leben muss-

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