die Seele. Wenn es sich um so etwas Ungeheuerliches handelt, macht es ein normales Leben nur scheinbar möglich.

Auch andere Völker haben Kapitel in ihrer Vergangenheit, die sie gerne vergessen möchten. Eine selektive, kollektive Amnesie ist nicht ungewöhnlich. Die Amerikaner etwa haben erst vor kurzem angefangen, sich mit dem, was sie den Indianern angetan haben, auseinander zu setzen. Aber nichts ist mit den Verbrechen des Dritten Reiches zu vergleichen. Nicht nur das Ausmaß der Naziverbrechen macht sie beispiellos, sondern auch ihr Wesen, ihre schiere Unmenschlichkeit, von einer unmenschlichen Ideologie getragen, die zur Staatsräson erhoben worden ist. Jede wirkliche deutsche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit muss mit dieser Erkenntnis ihrer Einzigartigkeit anfangen. Sonst ist sie wertlos.

Ich glaube, dass auch viele anständige Menschen in Deutschland noch nicht ganz begreifen, warum diese Auseinandersetzung mit der Vergangenheit so unglaublich wichtig ist. Sie glauben, dass das eine moralische Pflicht sei, und natürlich ist sie das. Aber es handelt sich um viel, viel mehr. Nicht nur um die Vergangenheit Deutschlands geht es, sondern um Deutschlands Zukunft.

Wenn junge Deutsche die Nazivergangenheit kennen würden, dann würden sie wissen, dass nicht nur Juden und Roma Opfer der Nazis waren. Auch die Deutschen waren Opfer Opfer ihrer selbst. Millionen Deutsche sind im Krieg umgekommen, ein Krieg, der vom Führer Deutschlands angezettelt worden ist, von dem Mann, dem Millionen Deutsche - dieselben, die zu Opfern wurden - zugejubelt haben, der die Arbeitslosigkeit abgeschafft und die Autobahnen gebaut hat. Von Hamburg bis Dresden sind in diesem Krieg alle deutschen Städte verwüstet worden. Aber viel mehr ist durch die Nazizeit zerstört worden: die deutsche Kultur, die deutsche Demokratie, die Freiheit der Menschen in Deutschland, der Stolz der Deutschen auf sich selbst. Wenn das allen Deutschen klar wäre, von Kindheit an, dann würden die ersten Anzeichen dieser Gefahr automatisch alle Alarmglocken zum Läuten bringen. Alle würden verstehen,

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