Das Sandburgen-Gefühl: Journalisten, die Kommentare schreiben, kennen es ein wenig. Wie aber hält es jemand wie Uri Avnery aus, der seit Jahrzehnten für eine große Idee schreibt und lebt? Wohl deswegen, weil sein Glaube an die Idee von einer gemeinsamen israelisch-arabischen Region stark genug ist, um Berge zu versetzen.

Die amerikanischen Friedensvermittler kommen und gehen. Doch einer, Uri Avnery, ist immer da, mit einem Plan, an dem er nichts ändern muss, weil er stimmt: der Plan von den zwei Völkern in zwei Staaten.

Don Quijote, Sisyphos, Abgeordneter, Visionär, Staatsfeind, Volksheld, Nestbeschmutzer und Prophet: einer wie Avnery war und ist alles miteinander.

Die Nahostkriege haben die Friedensbotschaft von Uri Avnery mit Füßen getreten; gleichwohl hat er nie aufgehört, diese Botschaft zu beschreiben und sie zu beschwören: Verständigung mit den Palästinensern und den arabischen Nachbarn, gegenseitiger Gewaltverzicht, Abzug aus den besetzten Gebieten und eine radikale Kursänderung der israelischen Politik.

Uri Avnery ist zwar schon alt - aber nicht müde. Viele Friedensgruppen sind stumm geworden; die Intifada, die Wut und die Angst, die sich auf beiden Seiten ausgebreitet haben, ließen sie verstummen. Gush Shalom aber, die Gruppe, die Avnery 1993 mitgegründet hat, ist momentan die einzige laute Stimme in Israel, die klar sagt, worum es jetzt geht: um einen Palästinenserstaat, um eine Lösung für Jerusalem und um die Auflösung aller Siedlungen. Das sind nicht die Vorstellungen eines Verrückten, als den man Avnery in seinem Land immer wieder hingestellt hat, es sind die Ideen eines Menschen, der seit Jahrzehnten versucht, den gefährlichen Status quo zu verändern. Das ist es, was Uri Avnery uns lehrt: Verständigung, Versöhnung und gemeinsame Gestaltung der Zukunft sind keine Spinnerei. Sie sind möglich auch unter den allerschwierigsten Umständen.

Heribert Prantl/Süddeutscbe Zeitung (Aus der Laudatio zur

Verleihung des Aachener Friedenspreises im September 1997)

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