(Jesaja 34, 3)
Ich sehe auf die Uhr, es ist zehn Minuten vor vier. Um vier wird Rachel mir wieder zwei Spritzen geben. Noch zehn Minuten. 600 Sekunden, 600 röchelnde Atemzüge meines Zimmernachbarn.
Geht diese Nacht denn nie zu Ende?
Sechs Minuten ... In sechs Minuten kann eine Schlacht zu Ende gehen. Können Dutzende Menschen sterben und Hunderte
verletzt werden. Der Angriff der Jeeps auf die Stellung 125. Der Kampf, der das Schicksal der ganzen Front entschieden hat, dauerte weniger als sechs Minuten. In diesen sechs Minuten verloren Ninos Eltern den Sinn ihres Lebens, und Pinchas wurde für immer zum Krüppel. In diesen sechs Minuten wurde das Leben von zig Familien aus der Bahn gerissen. Man könnte ein Buch darüber schreiben - über das Leben dieser Familien. Man müsste ihr Leben zweimal erzählen: einmal, wie das Leben weitergegangen wäre, wenn diese sechs Minuten nicht so abgelaufen wären, und dann, wie es tatsächlich weitergegangen ist. Die junge Frau in Damietta1 wird den gefallenen Captain nicht heiraten, Pinchas wird nicht mehr israelischer Landesmeister über die Langstrecken, und keiner wird all die Lieder singen, die Nino komponiert hätte, wäre er nicht gefallen. Und im Laufe der Jahre wird seine Verlobte sogar vergessen, dass sie fast einen Komponisten geheiratet hätte.
In jedem Bericht über einen Kampf werden die Verluste ge-
nannt: Waffen, Munition, Gefallene, Verwundete. Wer notiert aber die wirklichen Verluste? Die Melodien, die nicht komponiert, die Bücher, die nicht geschrieben, die Leistungen, die nicht erbracht und die Erfindungen, die nicht gemacht wurden, weil ein
Mensch, bevor er etwas leisten konnte, eine Kugel im Wert weniger Münzen abbekam?
Wir reden über Genies wie Beethoven, Shakespeare oder Pasteur. Wie viele Beethovens liegen in den Gräbern von Verdun?