Eben, als die Forderung, Israel zu boykottieren, an vielen Orten laut wurde, erinnerte die Tat die Welt an die verheerende Wirkung des Antisemitismus. In einer solchen Zeit musste man schon tapfer sein, um den Boykott des ״jüdischen Staates" zu fordern! Fürsprecher Israels haben es leicht: Sie erinnern an den nationalsozialistischen Schlachtruf: ״Kauft nicht bei Juden!"

Seit Kurzem erwähnt Netanyahu den Holocaust in jeder Rede, die er hält und in der er zum Angriff auf den Iran aufruft. Er prophezeit einen zweiten Holocaust, wenn die nuklearen Einrichtungen des Iran nicht in Stücke gebombt werden. Das wurde in Israel als zynische Ausbeutung des Holocaust kritisiert. Die Atmosphäre, die die Gräueltat in Toulouse geschaffen hat, hat diese Kritik verstummen lassen.

EINIGE MÖGEN denken, diese Reaktionen seien Überreaktionen. Schließlich wurde die Gräueltat von einem 24jährigen geistesgestörten Einzelnen begangen. Zu den Opfern gehörten nicht nur Juden, sondern auch Muslime. Wurde diese Tat nicht unverhältnismäßig aufgeblasen?

Die das sagen, verstehen den Hintergrund der jüdischen Reaktionen nicht.

Der praktizierende Jude Jeschajahu Leibowitz [1903-94J sagte

vor vielen Jahren, die jüdische Religion sei 200 Jahre zuvor gestorben und das Einzige, das alle Juden jetzt noch verbinde, sei der Holocaust. Darin liegt viel Wahrheit. Der Holocaust muss in diesem Zusammenhang jedoch als Höhepunkt der jahrhundertelangen Verfolgung verstanden werden.

Fast jedes jüdische Kind in der ganzen Welt wächst mit der Erzählung von der jüdischen Opferrolle auf. ״In jeder Gene-

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